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Zweimal im Monat überrasche ich dich mit etwas aus meinen Büchern. Sei gespannt!

 

1. Aprilhälfte 2024

 

»Cosy Horror«

 

Diesem Genre gehört meine wohl übernächste Veröffentlichung an, wobei ich von Büchern spreche und nicht von einer einzelnen Geschichte. Eine Reise in die tiefsten Abgründe menschlichen Seins ist die Meinung des Legionarion-Verlags, der die Anthologie demnächst auf den Buchmarkt bring.

 

Buch von Michael Kothe, Autor aus Unterschleißheim bei München
Cover folgt demnächst!

Leseprobe

 

Der Jahrestag

 

 

 

Verborgen im obersten Stockwerk in einem Aufbewahrungsraum für Putzmittel. Eng, halbdunkel, vor allem aber ruhig. Wäre dies kein Büroturm, sondern ein Hotel, so könnte hier Beckers Samenraub stattgefunden haben. In den Ecken Besen und Schrubber. Reinigungsutensilien und Ersatzteile teilten sich den Platz auf den Regalböden mit frischen Handtuchrollen für die Spenderautomaten in den Vorräumen der Toiletten. Das war praktisch, denn auf dem Fußboden ausgelegt und zwischen den Regalen fixiert gaben die ein leidlich bequemes Lager ab. Sicherlich dauerte es noch ein, zwei Stunden, bis feststand, dass sich niemand mehr im Gebäude oder zumindest auf dieser Etage aufhielt. Außer dem Direktor natürlich, der nach dem Motto „Abends wird der Faule fleißig“ wohl letzte Verträge prüfte und unterschrieb, bevor er sie dem Safe anvertraute, dem Wandsafe, der neben Patenten die Prototypen der Nanotechnologie vor unbefugtem Zugriff schützte. Auch nach Feierabend an diesem Freitag.

 

Eintönig wurde der Aufenthalt nicht, immer wieder flackerte vom Flur her Licht unter der Tür hindurch, wenn Angestellte oder Ingenieure ihr Büro oder ihr Labor abschlossen und den Gang entlang zum Fahrstuhl eilten oder schlenderten. Gesprächsfetzen, das Stakkato von Stöckelschuhen oder das Klacken lederner Absätze begleitete das Flackern, zuerst anschwellend, dann decrescendo, wie die Musik aus Bolero von Maurice Ravel. Ungewohnt klang das Surren von Rollen auf dem Marmorboden, das den Schritten beinahe aller folgte. Das Mitzählen bestätigte, dass alle bis auf den Direktor – schließlich war bekannt, wie viele Seelen in diesem Stockwerk Dienst taten – die Etage verlassen hatten. Vielleicht war die Durchführung der Überrumpelung nicht das klischeehafte Kinderspiel, aber Hindernisse würden nicht stören – es sollte keine geben. Die Wachleute erhielten Zutritt zu dieser Etage erst, wenn der Direktor sie verließ und das Personal zu den Kontrollgängen aufforderte. Nun kam es darauf an, ihn in der Zeitspanne zu überraschen, wenn er die Dokumente signierte, bevor er ging. An seinem voluminösen Schreibtisch und mit dem geöffneten Safe in seinem Rücken. Der Weg in das Allerheiligste, wie sein Büro von den Untergebenen je nach ihrem Charakter ehrfurchts- bis angstvoll oder auch amüsiert-ironisch betitelt wurde, war einfach: am Ende des Korridors durch das Vorzimmer mit den beiden Sekretärinnenbüros zur Rechten und zur Linken. Dann die schweren, schalldicht gepolsterten Türflügel aufgestemmt und …

   »Guten Abend, Herr Direktor!«

   »Guten Abend. Sicherlich haben Sie sich verirrt. Wenn Sie hinaus möchten: Der Fahrstuhl ist genau gegenüber am anderen …«

   Ein plötzlicher Schweißausbruch zeigte neben seiner Verwirrtheit Angst. Diese Etage war schließlich so etwas wie eine Festung. Seine. Zu der nur die ausgewählten Firmenangehörigen Zutritt erhielten. Unangemeldete und nicht von ihm persönlich zugelassene Besucher schafften es nicht bis hierher. Seiner Hand entglitt der Füllfederhalter, mit dem er gespielt statt geschrieben hatte – ein klassisches Modell, denn er achtete auf Stil und Tradition – und klapperte auf die Schreibtischplatte. Seine nun freie Hand fuhr zum Hals. Es sah aus, als wolle er sich würgen, doch massierte er seinen Kehlkopf, um frei sprechen zu können. Andere würden sich zu diesem Zweck räuspern, aber er hatte nun einmal diese Eigenart.

   »Was haben Sie hier zu suchen?« Fest war seine Stimme wieder, beherrschte den übergroßen Raum, zu anderen Zeiten jedoch, wenn er nicht allein war, alle Anwesenden.

   Der Griff an den Adamsapfel hatte seinen Zweck nicht verfehlt. Dennoch unentschlossen schwebte seine Hand über den Funktionstasten der Kommunikationsanlage. Auch davon, aufzustehen und den offenstehenden Safe zu verschließen, hielt ihn wohl die Pistole ab. Dass sie nicht nur für den Notfall vorgesehen war, verdeutlichte der aufgeschraubte Schalldämpfer.

   »Was wollen Sie, verdammt? Es gibt hier nichts von Wert. Die technischen Unterlagen, die Sie für Ihre Industriespionage brauchen, sind ebenso weggebracht wie die Prototypen und Modelle.« Er deutete hinter sich. »Wie Sie sehen, ist der Safe leer.« Eine kurze Pause folgte, in der er trocken schluckte. »Wenn Sie mich umbringen, hilft Ihnen das nichts. Dieses Gebäude können Sie nicht verlassen. Besonders nicht heute.«

   »Es geht weder um die Patente noch um die Modelle. Es ist etwas Persönliches. Erinnern Sie sich an den Verkehrsunfall mit zwei Toten, den Sie in betrunkenem Zustand vor genau einem Jahr verursacht haben? Mit anschließender Fahrerflucht, sodass die Opfer erst Stunden später gefunden wurden. Beide wären noch zu retten gewesen.«

   Ein Anschein des Erkennens huschte über sein Gesicht. Denkfalten legten sich auf seine Stirn, doch dann schüttelte er langsam den Kopf.

   »Nein, Sie irren sich. Ich habe nie …«

   »Sie haben. Ich war im Fahrzeug eingeklemmt und musste zusehen, wie Sie anhielten, zum Auto wankten, die Tür aufrissen und uns anschauten. Sie zuckten die Schultern und stapften wortlos davon. Da habe ich geschworen, Sie zu töten, und wenn es das Letzte wäre, was ich in diesem Leben zuwege brächte.«

   Ein Blinzeln ließ seine Lider beben.

   »Ja, nun erkenne ich Sie. Ich gestehe es, aber ich habe es nicht gewollt. Heute ist der Jahrestag. Was glauben Sie, warum ich an diesem leeren Schreibtisch sitze? Mit einer Flasche Cognac und mit diesen Kapseln hier in Griffnähe? Ich habe Zeit gebraucht, bis ich mich zur Reue durchgerungen habe.« Seine plötzliche Gefasstheit überraschte. »Nun ist es wohl vorbei.«

   Im Säuseln der Klimaanlage ging das „Plopp“ beinah unter. Ein kleiner roter Fleck besudelte die weiße Hemdbrust, danach in kurzem Abstand noch einer. Die dritte Kugel durchschlug seine Stirn und trat vermutlich am Hinterkopf aus. Gewiss ein unschöner Anblick, dessen sich niemand zu vergewissern braucht. Jeder Schuss für sich war tödlich gewesen, wie die winzigen Durchmesser der Blutflecke bewiesen. Wo kein Herz mehr pumpt, fließt auch kein Blut. Drei Schüsse, einer für jeden von uns. Nun mochte kommen, was wollte, er hatte gesühnt.

   Der Rückweg den Flur entlang zog sich hin. Der Schlüssel, der eben noch auf dem Schreibtisch des Direktors gelegen hatte, glitt ins Schloss auf der Messingplatte neben demjenigen Fahrstuhl, der sich durch das Fehlen jeglicher sonstigen Bedienarmatur als sein Privataufzug auswies. Ohne Verzögerung glitten die Türen auf, schlossen sich nach dem Betreten automatisch, und der unterirdische Ausgang zum exklusiven Abstellplatz des Direktionswagens flog mit großer Geschwindigkeit näher.

   Nicht lang jedoch dauerte die Abfahrt, nur wenige Stockwerke. Zwischen zwei derselben blieb der Lift hängen, wie die geteilte Flurbeleuchtung von oben und unten bezeugte, die durch den Ritz zwischen den Türblättern in die Kabine drang. Eine Notruftaste oder Gegensprechanlage gab es seltsamerweise nicht. Lang sollte der Aufenthalt vermutlich dennoch nicht dauern. Sicherlich hatte das Wachpersonal das Anfahren der Kabine beobachtet, und so fiele das Steckenbleiben auf, der Fahrstuhl würde entweder zum Weiterfahren gebracht oder der Wartungsdienst würde unmittelbar nach seinem Eintreffen die Tür öffnen. Niemand wusste vom Tod des Direktors, und eine der Situation angemessene Ausrede für die Benutzung seines Privatfahrstuhls wäre schnell formuliert.

   Der weich gepolsterte Klappsitz an der Rückwand erwies sich als bequem, die Zeitung auf der Ablage war vom heutigen Tage, und die Kabinenbeleuchtung erlaubte ein entspanntes Lesen. Das Blättern führte auf Seite 3, dort stand ein Artikel über die NanoTech GmbH, der Gesellschaft, deren Eigner zusammengesunken in seinem Sessel saß – seine Kapseln zu nehmen, hatte ihm die Pistole nicht mehr erlaubt. Eine Chronik der Firma im Schnelldurchgang, die mit dem Hinweis auf ihre Auflösung endete. Alle Technologie, alles Knowhow und alle Patente waren verkauft, der Erlös in eine Stiftung geflossen, die der Direktor gegründet hatte, um Unfallopfern das Weiterleben so erträglich wie möglich zu machen. Opfern von Verkehrsunfällen, bei denen sich der Verursacher seiner Verantwortung  unerkannt durch Fahrerflucht entzog. Das Firmengebäude selbst sollte einem weit größeren Bürokomplex weichen. Heute war der letzte Arbeitstag. Übers Wochenende würde das Gelände abgesperrt, am Montag das Gebäude gesprengt, ohne dass noch jemand weiter als bis in die Tiefgarage vordringen würde. Der Direktor hatte verkündet, er selbst wolle wie der Kapitän eines sinkenden Schiffes als Letzter das Büro heute zu einer bestimmten Uhrzeit verlassen und das Bauwerk damit seinem Untergang preisgeben.

   Ein unwillkürliches Hochschauen zur Uhr über der Fahrstuhltüre zeigte: Die angekündigte Stunde war genau jetzt. Der Blick zurück auf die Zeitung war vergeblich, denn in diesem Moment ging das Licht aus. Auf die Pünktlichkeit des Direktor vertrauend nahmen die Wachleute an, er habe das Gebäude verlassen, und hatten im Hinausgehen den Strom für immer abgeschaltet.

 

Ende der Leseprobe.

 

Lange hat es gedauert, bis aus dem Verlagsvertrag ein richtiges Buch wird, Die Veröffentlichung beim Legionarion-Verlag steht nun bevor. Eure Wartezeit währt nicht mehr lang. 

 

Ich hoffe, euch mit dieser Geschichte Appetit gemacht zu haben. Bleibt am Ball!

Michael Kothe

Buch von Michael Kothe, Autor aus Unterschleißheim bei München
Cover nicht endgültig.