Sympathisch respektloser Bestseller:

»Achtsam morden« von Karsten Dusse

   von Karsten Dusse

  • Herausgeber : Heyne Verlag; Originalausgabe Edition (10. Juni 2019)

»Auf jder Seite Spannung, ungebetene Ratschläge und Galgenhumor. Das kriegt nur ein Anwalt hin. Und keiner so gut wie Karsten Dusse.« Jan Böhmermann

 

Björn Diemel wird von seiner Frau gezwungen, ein Achtsamkeits-Seminar zu besuchen, um seine Ehe ins Reine zu bringen, sich als guter Vater zu beweisen und die etwas aus den Fugen geratene Work-Life-Balance wieder herzustellen. Denn Björn ist ein erfolgreicher Anwalt und hat dementsprechend sehr wenig Zeit für seine Familie. Der Kurs trägt tatsächlich Früchte und Björn kann das Gelernte sogar in seinen Job integrieren, allerdings nicht ganz auf die erwartete Weise. Denn als sein Mandant, ein brutaler und mehr als schuldiger Großkrimineller, beginnt, ihm ernstliche Probleme zu bereiten, bringt er ihn einfach um ― und zwar nach allen Regeln der Achtsamkeit.

 

»Ein Buch wie ein Wellnessurlaub. Nur vielseitiger. Und mit mehr Toten. Martina Hill

»Ein Mordsvergnügen. Danke, Karsten Dusse!« Dora Heldt

(Klappentext)

Unaufgefordert verfasste ich spontan meine Fünfsterne-Rezension für diese erfrischend respespektlose Spielerei mit Klischees und Tabus. Bestes Lesevergnügen!

zum Buch und zur Rezension bei Heyne

Rezension von Michael Kothe, Autor
Cover: Heyne-Verlag

 

Respektlos sympathisch! 

 

Für Eilige:

»Achtsamkeit kennt keine Gnade, Achtsamkeit kennt kein Pardon!« Die Verse aus dem Film mit Heinz Schenk und Hape Kerkeling möchte man in leichter Abwandlung anstimmen, wenn man das Buch »Achtsam morden« von Karsten Dusse (sprich: "Düss") zusammenfassen soll. Spätestens aber, wenn man sich entschließt, es zu rezensieren, weil es einem so gut gefallen hat. Kein Pardon kennt Dusse, sobald es um das Zwerchfell oder andere humorgesteuerte Körperteile des Lesers und der Leserin geht. Wobei ich es vorgezogen habe, genussvoll zu schmunzeln und den einen oder anderen Abschnitt mit einem breiten Grinsen noch einmal zu lesen. Als Strafverteidiger weiß der Autor, worüber er schreibt. Nur hoffe ich für ihn, »Achtsam morden« trage keine autobiografischen Züge, wenn der Protagonist zusammen mit seinem Stress sich auch der langfristig aufgebauten oder spontan definierten Widersacher entledigt. Mit Absicht oder mal eben so.

 

Inhalt ohne Spoiler:

Der Anwalt Björn Diemel betreut in einer gut gehenden, renommierten Kanzlei die Schmuddelkinder unter den Mandanten. Nicht nur die Einsicht, dass ihn das zum »Bäh«-Anwalt ohne berufliche Perspektive macht, sondern auch der Umgang der Kanzleiinhaber mit ihm verursachen Stress. Als seine Frau ihn zwingt, dem Burnout durch einen »Achtsamkeitskurs« vorzubeugen, tut sie ihm Gutes: Die Konzentration auf sein Ego und dessen Wohlergehen lässt Diemel aktiv gegen die Probleme vorgehen, gegen die daraus resultierenden Stress­situationen und gegen Personen, die die Probleme verursachen oder die sie selbst darstellen. Allerdings folgen aus der Lösung eines einzelnen Problems unweigerlich mehrere neue. Die Hydra lässt grüßen. Wird er diese Kettenreaktion beherrschen und mit Frau und Tochter zum entspannten, harmonischen Familienleben finden oder geht er in dem Strudel unter, den die Befolgung des Achtsamkeitsratgebers durch das Ziehen immer weiterer Kreise antreibt?

 

Schreibstil:

Political Correctness, Vermeidung von Klischees und von Diskriminierung. Das sind nur einige Tipps, die ich aus Schreibratgebern für meine eigenen Bücher mitgenommen habe. Zumindest so lange, wie ich mich als ernsthaften Schriftseller sehe. Davon hat Dusse wohl noch nie etwas gehört. Auf Klischees basiert die Handlung, Diskriminierung charakterisiert sämtliche Figuren außer dem Protagonisten und seiner Familie, und politisch korrekt kommt zu meinem Vergnügen gar nichts rüber. So stammen die Bösewichter aus osteuropäischen Ländern, beinahe zwangsläufig handeln sie aus niedrigen Motiven oder aus ihrer vom Protagonisten pauschal unterstellten Dummheit, und der unbeschwerte Umgang mit sexistischen, sozialen oder historischen Tabus poppt immer wieder hoch. Diese Respektlosigkeit, das ironische Zitieren des fiktiven (?) Achtsamkeitsratgebers und die von Diemel daraus gezogenen Schlussfolgerungen machen das Buch richtig sympathisch. Erfrischend lebendig präsentiert sich der ständige Wechsel seines Blickwinkels, mal fokussiert auf Tochter Emily (Vergessen Sie nie ihren Namen!), mal auf seine Widersacher (Vergessen Sie nie Emilys Namen!). Dusse bindet den Leser nicht nur ins Geschehen ein, auch an Diemels Gefühlen lässt er ihn teilhaben: Aufregung bei der Analyse der Probleme und Gleichmut, wenn er seine – oft gleichlautende – Lösung erdacht hat. Herrlich, wie die spritzig-freche Sprache sich anpasst! Unvollständige Sätze signalisieren Hektik, Schlangensätze weisen auf Logikketten hin, die der Leser besonders genießt, wenn er die zitierten Achtsamkeits­grundsätze aufmerksam studiert und verinnerlicht. Darin liegt Wahrheit, ihre Umsetzung beschert Kurzweil.

 

Fazit:

Spießer und Gutmenschen werden keinen Gefallen an »Achtsam morden« finden. Für Spießer zu frech geschrieben, Gutmenschen werden in ihrer hehren Gesinnung verunsichert. Für alle anderen und für jene, die sich einen Krimi mit Humor wünschen, ist das Buch ein Must-Read. Selten habe ich ein Buch in der Hand gehabt, das durchgängig so ironisch, so respektlos und dennoch so sympathisch überzeichnet. Karsten Dusse hat mir mit seinem Debütroman nicht nur unvergessliche Lesestunden beschert, sondern verlangt mit der zugrunde­liegenden Konsequenz, dass ich auch die beiden weiteren Bücher der Reihe lesen muss. Das tue ich gern!